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Article originally published in Tages Anzeiger and Der Bund
Unternehmertum wäre eine schöne Sache, wenn die Realität einen nicht dauernd zwingen würde, die Pläne über den Haufen zu werfen. Bei der Gründung der Firma Nanoleq vor sieben Jahren hatte Vincent Martinez einen plausiblen Plan: Der auf Biosensoren spezialisierte promovierte ETH-Elektroingenieur wollte mit seiner Firma robustere Kabel entwickeln. Wer hatte es nicht schon erlebt, dass die Metalldrähte in Kopfhörer- oder Ladekabeln brachen und diese zur Unzeit unbrauchbar wurden?
Martinez und sein Gründerteam hatten im Labor nachweisen können, dass ihr elastisches Kabel eine hundert Mal längere Lebensdauer hatte als die auf dem Marktverfügbaren Produkte. Damit wollten die Jungunternehmer die globale Kabelbranche aufmischen. Doch schon ein Jahr später war klar: Die konservative Branche hatte wenig Interesse, die Innovation des ETH-Spin-Offs rasch zu übernehmen.
So musste sich das Nanoleqteam ein Jahr nach der Gründung komplett neu erfinden. Martinez beobachtete in dieser Zeit, dass in seinem Umfeld viele über Stress im Job und Schlafprobleme klagten. Entsprechend begann die Nachfrage nach Entspannungsangeboten wie Yoga- und Meditationskursen sowie Workshops, in denen kontrolliertes Atmen gelehrt wurde, stark zu steigen.
Minutiöse Überwachung
Doch die ETH-Absolventen wählten einen anderen, wissenschaftlicheren Ansatz: Unter dem Markennamen Oxa lancierte Nanoleq nach zwei Jahren Entwicklungszeit Textilien und Stoffbänder mit eingebauten Sensoren, die in Echtzeit Atmung und Herzschlag aufzeichnen; die Daten werden in einer zugehörigen App benutzerfreundlich dargestellt.
Diese von Nanoleq selber entwickelte App überwacht nicht nur Atmung und Herzschlag, sondern gibt darüber hinaus personalisierte Empfehlungen und bietet eine Vielzahl von Atem- und Meditationsübungen an. So kann man sich vor dem Einschlafen von einer sanften Frauenstimme in progressiver Muskelentspannung anleiten und eine gute Nacht wünschen lassen. Danach soll man das Smartphone ausschalten und am Morgen kontrollieren, wie gut man sich erholt hat.
Dank den unten auf dem Rippenbogen getragenen Sensoren wird die Schlafqualität minutiös überwacht. Am Morgen lässt sich detailliert auf dem Smartphone nachlesen, wie lange man zum Einschlafen gebraucht hat, wie sich Herzschlag und Atmung im Schlaf verändert haben, wie tief der Schlaf war und sogar wie oft man die Position gewechselt und wie lange man auf Bauch, Rücken oder der Seite gelegen hat.
Personalisierter Coach
«Unser Hauptziel war es, einen personalisierten Atmungs- und Schlafcoach zu entwickeln, der die Stressregulation und die Schlafqualität verbessern hilft», sagt Firmenchef Vincent Martinez bei einem Rundgang durchs Labor in Rümlang, in dem die elektronischen Komponenten produziert werden. Martinez weiß aus eigener Erfahrung, wie rasch man bei hoher Arbeitsbelastung aus dem Gleichgewicht geraten kann.
Als er vor einem Jahr mehrere Entlassungen aussprechen und mit dem kleineren Team die Entwicklung vorantreiben musste, setzte dies dem 35-Jährigen stark zu. In dieser Grenzsituation nahe am Burn-out profitierte Martinez besonders vom internen Know-how in Gesundheitsfragen. «Wenn die Gedanken rotieren und der Druckhoch ist, sind Stressmonitoring und geführte Entspannungsübungen besonders wichtig», so Martinez.
Der Jungunternehmer möchte mit Oxa eine Lücke schließen zwischen den vielen «eher spirituell-esoterischen Gesundheitsangeboten» und der «stark auf Reparatur ausgerichteten Schulmedizin»
Allgemein könne man sagen, dass die meisten Menschen zu oberflächlich und zu schnell atmen würden, was dazu führe, dass unser autonomes Nervensystem permanent aktiviert sei. Mit einfachen Techniken wie dem physiologischen Seufzer oder anderen Formen, bei denen das Ausatmen in die Länge gezogen wird, könnten schon innerhalb weniger Wochen der Blutdruck gesenkt und die Herzratenvariabilität erhöht werden, sagt Martinez.
Um zu unterstreichen, dass Oxa bessere Daten liefert als beispielsweise Smartwatches, arbeiten Martinez und sein Team eng mit Schlaf- und Atemfachleuten sowie Universitätsspitälern zusammen. So bezeugen mehrere Kardiologen, dass die Oxa-Technologie die Herzfrequenz ebenso genau und zuverlässig misst wie die ungleich teureren EKG-Geräte, die in den Spitälern zum Einsatz kommen, was neue Perspektiven für die Prävention schafft.
Eine, die früh auf Oxa gesetzt hat, ist die Bernerin Helena Hefti. Als Freitaucherin und Instruktorin für Atemtechniken nach Wim Hof und Buteyko war sie anfänglich durchaus kritisch, weil sie schon zu oft erlebt hatte, dass die Produkte nicht hielten, was das Marketing versprach.
Hoffnung auf Börsengang
«Bei Oxa schätze ich, dass ich direkt am Bildschirm ein exaktes Biofeedback zu meiner Atmung erhalte und ganz einfach überprüfen kann, wie sich einzelne Entspannungsübungen auf meine Schlafqualität auswirken», so die Atemexpertin. Hefti arbeitet auch mit Kundinnen und Kunden, die unter Schlafproblemen leiden. Wenn diese ein Schlaflabor aufsuchen, um der Sache auf den Grund zu gehen, können sie die Erkenntnisse in einer solch künstlichen Umgebung laut Hefti oft nicht ohne weiteres in den Alltag übertragen.
Deshalb sei es wertvoll, die Situation ohne viel Aufwand zu Hause beobachten und verbessern zu können. Hefti selber nutzt Oxa regelmäßig, um einen besseren Einblick in ihr Atemverhalten zu erhalten. «Wir wissen immer noch erstaunlich wenig über etwas so Grundlegendes wie unsere Atmung»
Martinez ist überzeugt, dass die Themen Stressregulation und Schlafqualität rasant an Bedeutung zunehmen werden. «Auch Arbeitgeber und Versicherungen sind daran interessiert, kostspielige Erkrankungen und Fehlzeiten zu vermeiden», sagt der Unternehmer und lässt durchblicken, dass er einen Börsengang bis in
fünf Jahren für realistisch hält.
27 Angestellte
Doch erst einmal braucht das Unternehmen, das bisher gut 14 Millionen Franken aufnehmen konnte und zurzeit 27 Angestellte beschäftigt, weiteres Kapital, um die Technologie zu verbessern und neue Märkte zu erschließen. Als Nächstes soll ergänzend zu den in Textilien verbauten Sensoren ein Brustgurt lanciert werden, der einfacher an- und ausgezogen werden kann.
Auch die Software wird in den nächsten Monaten weiterentwickelt, wobei das Zürcher Start-up bald ein Programm für Atemtraining mit dem bekannten amerikanischen Fitnesstrainer Brian MacKenzie lancieren wird. Weiter sind Kooperationen mit global tätigen Technologie- und Textilmarken geplant.
«Priorität hat aber, dass wir in nächster Zeit unseren Kundenkreis erweitern und in ein paar Jahren schwarze Zahlen schreiben», sagt Vincent Martinez zum Abschied und fügt dann an: «Und dass wir alle gesund bleiben.» Noch einmal soll es ihm nicht passieren, dass ihn sein Einsatz für bessere Stressregulation beinahe um den Schlaf bringt.